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Erst Zimmerer-Lehre dann Studium

Im Interview: Zimmerer-Azubi Charlotte Kleemann. Sie empfiehlt angehenden Architekten vor dem Studium einen Handwerksberuf zu erlernen.

Nach dem Abitur wollte Charlotte Kleemann (20) eigentlich Architektur studieren. Doch sie entschied sich für eine Zimmerer-Lehre im Innungsbetrieb Max Kiener Zimmerei GmbH in Emmering (Landkreis Fürstenfeldbruck). Mittlerweile ist sie im 3. Lehrjahr und bereut ihre Entscheidung nicht – im Gegenteil.

 

Charlotte, du wolltest Architektur studieren. Warum hast du dich für eine Zimmerer-Lehre entschieden?

Charlotte Kleemann: "Nach dem Abi wollte ich nicht länger in der Theorie bleiben. Damals hat mir eine Architektin empfohlen ein paar Wochen auf der Baustelle mitzuarbeiten. Dann habe ich ein Praktikum in meinem heutigen Ausbildungsbetrieb gemacht und gleich gemerkt, dass mir die Arbeit an der frischen Luft mit den Kollegen und die körperliche Arbeit richtig viel Spaß machen"

 

Was hast du in der Ausbildung gelernt, was dir im Studium helfen könnte?

"In der Lehre bekommt man nicht nur Selbstbewusstsein, weil man selbstständig arbeitet, sondern auch praxisnahes Denken und einen großen Wissensschatz: In der Berufsschule lernen wir zum Beispiel die Schichten einer Wand, den Dachaufbau und Holzkonstruktionen. Im Betrieb habe ich die Praxis dazu: Wie gehe ich die Sache an, wie kann ich ein Detail ausbilden?"

 

Deshalb empfiehlst du es angehenden Architekten einen Handwerksberuf zu lernen?

"Auf jeden Fall. Denn man kann vieles theoretisch planen, was in der Praxis nicht funktioniert - wer als Zimmerer gearbeitet hat, hat dafür einen besseren Blick! Am Anfang der Lehre habe ich bei Holzverbindungen zu kompliziert gedacht, bis mir meine Kollegen eine einfache Lösung des Problems gezeigt haben"

 

Nächsten Sommer bist du fertig mit der Lehre. Willst du noch Architektur studieren?

"Ich weiß noch nicht, weil mir die Arbeit als Zimmerin so viel Spaß macht. Ich könnte mir auch vorstellen den Meister oder ein Holzbau- oder Bauingenieur-Studium zu machen"

 

Da fliegen die Späne: Charlotte Kleemann mit ihrer Berufsschulkollegin Selina Möbius (l.).

Welchen Baustoff würdest du als Architektin bevorzugt einsetzen?
"Natürlich Holz, weil es ein ökologischer und nachwachsender Rohstoff ist. Sichtbeton ist mit seiner kalten Oberfläche nicht so meins. Holz schafft da ein schöneres Raumklima"

Und wie geht es dir als Frau auf der Baustelle?
"Eigentlich müsste es heißen 'Wie geht‘s dir als Lehrling auf der Baustelle?', da ich keine Sonderstellung habe. Wenn ich von Mitarbeitern anderer Gewerke komisch angeschaut werde, spreche ich sie einfach darauf an.

Entscheidend ist: Wenn man auf der Baustelle nur rumsteht, wird man sicher komisch angeschaut. Aber wenn ich mitanpacke, gibt’s kein Problem und das trifft auf alle Lehrlinge zu. Zudem fühle ich mich von meinen Kollegen akzeptiert, das stärkt mir den Rücken"

Wie schaffst du das mit der körperlichen Anstrengung?
"Am Anfang hatte ich Respekt vor den schweren Arbeiten. Aber mit der Zeit kommt die Kraft und Technik von allein und man kann auch seine Kollegen um Hilfe bitten"

Was macht dir als Zimmerin am meisten Spaß?
"Dass ich in einem tollen Team arbeite. Und es macht mich immer stolz, dass ich nach einem Arbeitstag sehe, was wir geschafft haben"

Zimmermeister Max Kiener hatte nie Zweifel daran, dass sich seine Auszubildende Charlotte Kleemann als Frau auf der Baustelle durchsetzen kann.


Das sagen Charlotte Kleemanns Chefs:

Zimmermeister Max Kiener ist überzeugt: „Handwerklich gesehen gibt es nichts, was Charlotte nicht kann“, und er betont: „Sie hat sich vom ersten Tag an in die Firma und Familie eingebracht." Schließlich sind die Kieners ein Familienbetrieb, mittags essen alle gemeinsam und Kiener betont: „Wir arbeiten nicht nur miteinander. Ich habe immer ein offenes Ohr für meine Mitarbeiter.“

"Diese Firma ist 40 Jahre unter einer Frau groß geworden"

Und er fügt hinzu: "Egal was Charlotte nach ihrer Lehre macht, sie wird ihren Weg erfolgreich gehen. Natürlich würden wir uns alle freuen, wenn sie bei uns bleibt.“ Er zweifelte nie daran, dass sie sich als Frau auf der Baustelle durchsetzen kann: „Wir leben im 21. Jahrhundert, da sollte darüber garnicht mehr gesprochen werden - ob Frau oder Mann, völlig egal. Diese Firma ist 40 Jahre unter einer Frau groß geworden.“

Denn seine Mutter Dr.-Ing. Gabriele Kiener führte jahrzehntelang den Betrieb, sie erzählt: „Mein Vater hatte drei Töchter. Dann habe ich einfach Zimmerin gelernt von 1968 bis 1970. Da gabs noch garkeine Mädchen auf dem Bau.“

Auch später als Chefin der Zimmerei musste sie sich behaupten: „Arbeiter aus anderen Gewerken haben zu meinen Mitarbeitern oft gesagt: Du wirst dir doch von einer Frau nichts sagen lassen oder?“, aber Gabriele Kiener lächelt und betont: „Meine Mitarbeiter haben mich gerne verteidigt.“ Sie freut sich, dass sich immer mehr Frauen für den Zimmerer-Beruf begeistern, wie Charlotte Kleemann.


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